Rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr kauft jede Konsument:in in Europa durchschnittlich. Mehr als doppelt so viel wie vor 15 Jahren. Zugleich wird Mode nur noch halb so lange getragen. Das hat System, denn die Modeindustrie schafft immer schnellere Trends und bringt immer mehr Kollektionen im Jahr heraus. Die Folge: Es wird mehr Kleidung hergestellt, als in der EU an den Mann und die Frau gebracht werden kann. Oft ist die schnelllebige Trend-Mode von geringer Qualität und wird unter Bedingungen produziert, die kaum die Grundbedürfnisse der Beschäftigten in den Textilfabriken deckt: Niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden, hohe gesundheitliche Risiken und Belastungen, Arbeit auf Abruf oder ohne Vertrag und sogar physische oder psychische Misshandlungen sind oft eher die Regel als die Ausnahme. Weltweit arbeiten rund 60 Millionen Menschen in der Modeindustrie, mehrheitlich Frauen, und viele von ihnen können sich eine menschenwürdige Beschäftigung nicht einmal vorstellen.
Obendrein werden Mode und Textilien kaum wiederverwendet, selten repariert und nur zu 1 Prozent recycelt. 92 Millionen Tonnen Abfall produziert die Bekleidungsindustrie Jahr für Jahr. Und das, obwohl die Mode- und Textilindustrie einer der CO2-intensivsten Produktionszweige überhaupt ist. 2015 wurden 98 Millionen Tonnen Erdöl nur für Textilien verbraucht. Der europäische Textilkonsum steht mit seinen enormen Auswirkungen auf Klimawandel, Wasserverbrauch und Umweltzerstörung an vierter Stelle gleich nach der Lebensmittelproduktion, Wohnraum und Verkehr.
Das alles macht die Textilindustrie unter sozialen und Umwelt-Gesichtspunkten zu einer hochproblematischen Branche. „Die Modeindustrie ist auf der Ausbeutung von Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen aufgebaut. Während die großen Konzerne Gewinne machen, verdienen die Menschen, die die Kleidung herstellen, oft nicht genug, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm. Ganz offensichtlich ist der Markt nicht in der Lage, diese Probleme zu beheben“, sagt Jens Geier. „Faire und nachhaltige Textilproduktion kann nicht in die Verantwortung der Konsument:innen gelegt werden. Wir brauchen hier ganz klare Regeln und zwar für alle Verantwortlichen: globale Textilhändler, große Modeketten und Onlineanbieter.“
Die Sozialdemokrat:innen im Europaparlament unterstützen deshalb den neuen Vorschlag der Kommission für eine neue Textilstrategie ganz nachdrücklich. Er hat das Ziel, Kleidung in Europa fairer, gesünder und umweltfreundlicher zu machen. Doch an etlichen Punkten ist der Kommissionsvorschlag noch nicht weitgehend genug.
Die Sozialdemokrat:innen im Europaparlament fordern, die Vernichtung von unverkaufter oder zurückgegebener Ware in Zukunft zu verbieten. Außerdem sollen Mindeststandards für verlässliche Produktangaben vorgeschrieben werden. „Wenn Modekonzerne ihre Kleidung als nachhaltig bezeichnen dürfen, obwohl sie unter großem CO2-Aufwand produziert wurde – nur, weil sie hinterher eine Kompensationsabgabe gezahlt haben, dann ist das irreführend und Täuschung von Verbraucher:innen“, sagt Jens Geier. Die Europa-SPD will dieses Greenwashing in Zukunft verbieten.
Außerdem finden 70 Prozent der mit der Textilproduktion verbundenen Emissionen außerhalb der EU statt. „Die Textilindustrie muss Verantwortung für ihren CO2-Fußabdruck übernehmen und das entlang der gesamten Lieferkette – genauso, wie es beispielsweise die Energieindustrie auch tun wird“, sagt Jens Geier. Weitere Bausteine sind das Verbot von sogenannten „Dark Patterns“, also Apps, die so designt sind, dass sie vor allem junge Nutzer:innen zum Kauf von mehr und mehr Billigmode verleiten. Auch das Recht auf Reparatur muss hier umgesetzt werden.
„Für eine kreislauffähige und humane Textilindustrie muss noch viel getan werden. Das Idealbild ist Mode, die langlebig, reparier- und recycelbar und frei von gefährlichen Stoffen ist und möglichst aus recycelten Material und unter Wahrung sozialer Rechte hergestellt wurde“, fasst Jens Geier die Position zusammen. Die Überarbeitung und der Beschluss der Textilstrategie sind ganz wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.